Interviews

Auf dem Weg zur Zero Emission Mobilität

Neue Antriebskonzepte verändern die Fahrzeugarchitektur und stellen erhöhte Anforderungen an Materialkombinationen und Leichtbau-Lösungen

Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 und das Erreichen der Klimaneutralität bis 2050: Diese Ziele hat sich Deutschland auf Basis des Pariser Klimaabkommens gesteckt. Unbestritten hat der Verkehrssektor dabei einen wesentlichen Anteil zu leisten. „Zero Emission Mobilität“ lautet die Vision, der Hersteller sowohl im Personen- als auch im Nutzfahrzeugsegment folgen. Welche Antriebstechnologien werden dabei eine entscheidende Rolle spielen? Welche Auswirkungen hat das auf die Fahrzeug- und Leichtbauarchitektur von morgen? Daniel Burtsche, Sales Manager in der 3M Advanced Materials Division mit Fokus auf Automotive und Elektro-Mobilität, gibt darauf Antworten.

Herr Burtsche, die Automobilindustrie befindet sich in einem beispiellosen Transformationsprozess. „Zero Emission“ ist als Zielsetzung auf Seiten der OEMs tief verankert. Wie wird dies erreichbar?

Durch intelligente Konzepte, die unterschiedlichste Mobilitätsanforderungen jeweils bestmöglich erfüllen. Aus meiner Sicht dürfte in Zukunft keine Antriebstechnologie mehr so dominierend sein wie derzeit noch der Verbrennungsmotor. Stattdessen werden wir einen bedarfsgerechten Mix von Antriebssystemen und Fahrzeugkonzepten sehen. Anders gesagt: Der Antriebsstrang differenziert und diversifiziert sich. Egal ob batterieelektrischer Antrieb, Hybridfahrzeuge mit klassischen oder synthetischen Kraftstoffen, der Wasserstoff-getriebene Brennstoffzellen-Antrieb – jeder technologische Ansatz hat seine Berechtigung für bestimmte Segmente und Anwendungsfelder.

Welche Entwicklungsschritte und Herausforderungen sehen Sie auf dem Weg dorthin?

Eine wesentliche Frage lautet, wie ein Konsens der verschiedenen Stakeholder gefunden werden kann. Dazu zählen die Gesetzgeber, die Hersteller und selbstverständlich auch die Endverbraucher, die Fahrzeuge nutzen. Im Zuge der Elektrifizierung kommen darüber hinaus neue Player hinzu, wie Stromerzeuger und Netzbetreiber. Das erhöht die Komplexität und macht es erforderlich, die unterschiedlichen Interessenslagen in eine maximale Übereinstimmung zu bringen.

Und wie lässt sich diese Komplexität auflösen?

Jede technische Lösung für den Powertrain verlangt eine individuelle Betrachtung hinsichtlich ihrer Stärken und Chancen, gerade vor dem Hintergrund der Zielsetzung „Zero Emission“. Am Ende kommt es dabei auf den intelligenten Mix der Technologien an. Im individuellen Personenverkehr hat der rein batterieelektrische Antrieb sicherlich eine größere Berechtigung als im Nutzfahrzeugbereich.

Konkret: Diesel ist im Lkw-Bereich nach wie vor idealer Energiespeicher, um große Massen über große Distanzen zu transportieren. Genau deshalb braucht es hier differenzierte Lösungen, beispielsweise mit einem Diesel für lange Distanzen und mit emissionsreduzierten oder emissionsfreien Konzepten für die letzte Meile im urbanen Umfeld. Die Anforderung an Nutzfahrzeughersteller lautet, die richtige Lösung für den jeweiligen Transportauftrag auf die Straße zu bringen. Gleichzeitig gilt es, über die gesamte Wertschöpfungskette eine emissionsfreie Lösung zu entwickeln. Elektrifizierte Antriebe bilden dabei einen wichtigen Baustein, aber nicht die einzige technisch mögliche und zielführende Lösung.

Jede technische Lösung für den Powertrain verlangt eine individuelle Betrachtung hinsichtlich ihrer Stärken und Chancen, gerade vor dem Hintergrund der Zielsetzung „Zero Emission“. Am Ende kommt es dabei auf den intelligenten Mix der Technologien an.

Daniel Burtsche

Welche Strategien verfolgen die Fahrzeughersteller dabei?

Vielschichtige Aktivitäten und Entwicklungsprojekte sind seit geraumer Zeit im Gang. Daimler Truck zum Beispiel hat sich das Ziel gesteckt, bis 2025 ein wasserstoffgetriebenes Fahrzeug auf die Straße zu bringen. Gleichzeitig hat CEO Martin Daum in einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ angekündigt, ab 2040 keine Verbrennungsmotoren mehr für Nutzfahrzeuge zu verwenden. Im Zuge dieser Transformation wird es eine Verdichtung und Konzentration geben (vgl. Daimler Truck AG und Cummins Inc. planen globale Zusammenarbeit bei mittelschweren Nutzfahrzeugmotoren | Daimler). Das bedeutet auch, dass sich TIER1-Zulieferer neu orientieren und aufstellen werden. Das wird wiederum Auswirkungen auch auf weitere Zulieferer und Materialhersteller haben.

Wie viel Zukunft hat in diesem Umfeld noch der Verbrennungsmotor?

Im mittleren Planungshorizont über 10 bis 15 Jahre hat der Verbrennungsmotor weiterhin seine Daseinsberechtigung, erst recht in Verbindung mit synthetischen Kraftstoffen. Damit lassen sich bereits vorhandene Fahrzeugflotten kurzfristig und mit relativ geringem technischen Aufwand CO2-seitig optimieren. Unter Nutzung der vorhandenen Infrastrukturen bis hin zu den Tankstellennetzen können synthetische Kraftstoffe direkt in die bestehende Versorgungskette eingebunden werden. Damit kann bei Fahrzeugen ab Schadstoffklasse Euro 5 eine Kohlendioxid-Reduktion sofort realisiert werden.

Und lässt sich auch der Verbrennungsmotor selbst noch weiter optimieren?

In der Tat. Auch die heute schon hoch optimierten Verbrennungsmotoren bieten noch Potential. Wir kennen etwa verbesserte Sensortechnologien, einzelangesteuerte Nockenwellen-Systeme und andere technische Maßnahmen, um CO2-Ausstoß weiter zu reduzieren.

Der elektrifizierte Antrieb, ob rein elektrisch oder als Hybrid, lädt den Fahrzeugen zusätzliches Gewicht in Form einer Batterie auf. Was bedeutet das für die Auslegung in Fahrzeugarchitektur und Design?

Das Batteriegewicht spielt eine entscheidende Rolle in der Auslegung von Elektrofahrzeugen in Relation zu Reichweite, Größe und Gewicht. In der Folge verschieben sich die Gewichte nach oben und die Schwerpunkte nach unten. Das stellt hohe Anforderungen an die Konstruktion des Gesamtfahrzeuges und erfordert gezielte Leichtbaumaßnahmen. Lösungen von 3M können dabei einen wichtigen Beitrag leisten, um zukunftsfähige Konzepte zu realisieren.

Im Zuge der Leichtbau-Entwicklung sehen wir immer mehr Werkstoff-Kombinationen. Wo früher Stahl auf Stahl traf, kommen heute vermehrt Aluminium und Magnesium oder Polycarbonat und Carbon zum Einsatz. Das bringt große Herausforderungen im Bereich der Verbindungstechnik, des Crash-Verhaltens sowie der Korrosionseigenschaften mit sich.

Im Zuge der Leichtbau-Entwicklung sehen wir immer mehr Werkstoff-Kombinationen. Wo früher Stahl auf Stahl traf, kommen heute vermehrt Aluminium und Magnesium oder Polycarbonat und Carbon zum Einsatz. Das bringt große Herausforderungen im Bereich der Verbindungstechnik, des Crash-Verhaltens sowie der Korrosionseigenschaften mit sich.

Daniel Burtsche

Was sind hier die wesentlichen Herausforderungen?

Es geht um zuverlässige und robuste Schraubverbindungen, insbesondere an sicherheitsrelevanten Teilen wie Achskomponenten. Wie lässt sich die Achse in der neuen Kombination am Chassis befestigen, zum Beispiel, wenn Leichtbaumaterialien auf Stahl treffen? Dafür sind neue Lösungen erforderlich, etwa 3MTM Friction Shims, die den Reibwert in einer Schraubverbindung um den Faktor 4 bis 5 erhöhen. Das ermöglicht leichtere und kompaktere Konstruktionen im Fahrzeug, ohne dabei Kompromisse bei Kraft- und Drehmomentübertragung einzugehen. 

Welche Funktion erfüllen die 3MTM Friction Shims dabei?

Die reibwerterhöhenden Scheiben dienen dazu, die Verschraubung abzusichern. In reibschlüssigen Verbindungen beeinflusst der statische Reibwert die übertragbaren Kräfte und Drehmomente. Reibwerterhöhende Maßnahmen ermöglichen es, die Grenzen nach oben zu verschieben und somit verlässliche, robuste Verbindungen zu schaffen. Die Scheiben bestehen aus einem Substrat aus Stahl mit einer Chemisch Nickel-Beschichtung und darin eingelagerten Diamant-Partikeln. Wenn die Scheibe zwischen zwei Komponenten verpresst wird, dringen die Diamanten in die Gegenflächen ein und bilden einen Mikroformschluss. 

In welchen Bereichen sind die Scheiben besonders zielführend?

Im Zuge der Veränderungen bei Powertrain und Fahrzeugarchitektur sehe ich insbesondere drei zentrale Anwendungsbereiche:

  • In optimierten Verbrennungsmotoren werden Bauräume massiv reduziert und im Low-End Bereich (niedere Drehzahl) sind weiter erhöhte Drehmomente zu beobachten. Das bedeutet einen erhöhten Aufwand für robuste Verbindungstechnologien bei verkleinerten Wirkflächen.
  • Verbindungen zwischen Achsen und Chassis erfordern ausgeklügelte Lösungen. Ob für Querlenker, Aufhängung, Crashbox, Vibrations-Schwingungsdämpfer oder die Verbindung der Achse mit dem Chassis – und das unter Berücksichtigung diverser Materialkombinationen.
  • Auch der Elektromotor selbst stellt hohe Anforderungen an die Verbindungstechnik, insbesondere, da sofort die volle Leistung zur Verfügung gestellt wird. Das führt zu hohen Kräften, die direkt auf umliegende torsions- oder drehmomentbelastete Bauteile einwirken.

Die Transformation der Automotive-Branche auf dem Weg zur Zero-Emission-Mobilität verändert nicht nur Material und Anwendungen oder das Design, sondern die gesamte Wertschöpfungskette. Um die gesteckten Ziele erreichen zu können, rücken die Akteure stärker zusammen, in Zukunft werden sich neue technologische Partnerschaften bilden. 

Erfahren Sie mehr über reibwerterhöhende Scheiben.

Daniel Burtsche ist diplomierter Wirtschaftsingenieur. 
Schon während des Studiums an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden war er im BMW Forschungs- und Innovationszentrum in München beschäftigt. Nach 9 Jahren im Key Account Management bei Zulieferern für Mercedes, SMART, Opel, Ford und VW stieß er 2007 als Automotive Spezialist im Technical Marketing zu 3M Technical Ceramics in Kempten (Allgäu).
2013 übernahm er die Leitung des Vertriebsteams für Powertrain Ceramics & New Business. Seit Ende 2020 ist er in der 3M Advanced Materials Division als Sales Manager mit zentraleuropäischer Verantwortung tätig.

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