Interviews

Keramik, Normen und Zertifizierungen

Herr Dr. Rendtel, auch im technischen Umfeld zucken viele zusammen, wenn sie mit Fragen nach Normungen oder Zertifizierungen konfrontiert werden. Woran liegt es, dass Normen oder Standards in der Hauptsache als etwas Abstraktes wahrgenommen wird, das eigentlich niemanden so richtig betrifft?

Da gebe ich Ihnen erstmal recht: Hört man „Normen“, dann wird es vielen trocken auf der Zunge, Normen, heißt es dann, sind doch bloß was für die Spezialisten. Dabei geht es eigentlich um hochinteressante Inhalte, nämlich darum, Messverfahren und die Eigenschaften bestimmter Werkstoffe allgemeinverbindlich festzulegen. Das Problem liegt darin, dass dies nur selten auf eine für den Verbraucher nachvollziehbare Weise geschieht. Es müssen eben bestimmte Rahmenbedingung eingehalten werden, um schließlich nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Und da kann es eben relativ komplex werden…

Wodurch ließe sich das ändern? Ist es möglich, dass auch Laien die Bedeutung von Normen und Standardisierung besser verstehen?

Eigentlich ist dies gar nicht so schwer, denn die Vorteile sind eigentlich für jeden ersichtlich. Man muss sich nur mal die Mühe machen, sie in der Praxis aufzuzeigen. So kann man beispielsweise feststellen, dass unsere Stecker nur mit Mühe in eine „italienische“ Steckdose passen, viel besser funktioniert dies in Frankreich oder in Schweden. Die Einhaltung von Normen ermöglicht es, dass es überall reibungslos funktioniert. Oder nehmen wir die europäische Finanzwirtschaft als Beispiel: Sie wurde in weiten Teilen durch den Euro normiert. Genau das gleiche gilt für technische Geräte, wenn es um die Ermittlung von Eigenschaften von Werkstoffen aus allen Bereichen geht. Normen garantieren, dass wir, wenn wir von der „Festigkeit“ eines Werkstoffs sprechen, alle das Gleiche darunter verstehen. Von der Verständlichkeit kommen wir somit zur Verbindlichkeit und letztlich zur Verlässlichkeit von Sachverhalten und ihren Zusammenhängen.

Thema technische Keramik: Welche Rolle nimmt der Bereich der Normung hier ein?

Eine sehr allgemein gehaltene Frage. Auch hier spielt die Ermittlung wesentlicher Eigenschaften eine zentrale Rolle. In unserem Bereich der Nicht-Oxid-Keramik sind die Werkstoffe noch nicht durchgehend genormt. Bei den Oxidkeramiken weiß dagegen jeder, der in der Industrie den Begriff „KER-710“ hört, dass damit ein Aluminiumoxid gemeint ist. Das gibt es bei uns im Bereich der Nicht-Oxid-Keramiken noch nicht. Die Verlässlichkeit von Eigenschaften, wie sie dann auch in den Datenblättern angeben werden, wird aber – mittelbar – durch die Normung der dafür eingesetzten Verfahren sichergestellt.

Um welche Eigenschaften handelt es sich hier vor allem?

Um physikalische Eigenschaften von Keramik, die eben in ihrer technischen Anwendung eine wesentliche Rolle spielen, unter anderem Festigkeit, Härte, Zähigkeit, Elastizität, Wärmeleitung, Isolierfähigkeit. So arbeitet man beispielsweise bei der Härtemessung mit Referenzmaterialien, die von einem akkreditieren Labor charakterisiert wurden. Das Labor kann daran seine eigenen Messwerte überprüfen und feststellen, inwieweit die eigenen Verfahren im Sinne einer vergleichbaren Standardisierung arbeiten. Bei der Festigkeit gelingt das wiederum mit dem Einsatz einer Lastmessdose, die als Messsignal eine bestimmte Spannung ausgibt. Diese Spannung wird dann wiederum in eine Messeinheit umgewandelt und liefert somit präzise Angaben hinsichtlich der Festigkeit.  

Ähnliches gilt auch für die Prüfung der chemischen Zusammensetzung. Hier wurden die konkreten Werte anhand von Versuchsreihen ermittelt, an denen verschiedene Laboratorien teilgenommen haben. Schließlich hat man die Ergebnisse verglichen und die mit den meisten Übereinstimmungen angenommen. Man kann also sagen, dass die Resultate hier im Rahmen demokratischer Prozesse über einen Akt der Mehrheitsfindung zustande gekommen sind.

„Von der Verständlichkeit über die Verbindlichkeit zur Verlässlichkeit von Sachverhalten und ihren Zusammenhängen“

Dr. Rendtel

Heißt: den Laboren kommt hierbei eine zentrale Funktion zu…

In jedem Fall. Die Eigenschaftswerte werden in den Laboren ermittelt. Dazu müssen die in den Laboren eingesetzten Messgeräte regelmäßig überprüft werden und unterliegen einer klar definierten Qualitätssicherung.

Dann haben wir doch eigentlich auf der ganzen Linie übergreifend gültige Vergleichbarkeiten, oder?

Vorsicht, es gibt immer noch unterschiedliche Verfahren, die zur Anwendung kommen, und die sind nur bedingt vergleichbar. So kann zum Beispiel die Festigkeit von Keramik etwa im Verfahren der sogenannten Vierpunktbiegung oder auch mit Hilfe der Dreipunktbiegung durchgeführt werden. Die Ergebnisse beider Verfahren sind in der Regel nicht deckungsgleich, die Dreipunktfestigkeit liegt in der Regel etwas höher als die Vierpunktfestigkeit. Ist das Verfahren also im Datenblatt nicht angeben, weiß man im Grunde genommen nichts Genaues.

Was geschieht dann in solchen Fällen?

Die reguliert der Markt in der Regel von allein. Der Kunde wird nicht etwas kaufen, wenn ihm nicht klar gemacht wird, nach welchen Voraussetzungen hier bestimmte Werte ermittelt wurden. Bekommt er diese Informationen nicht ausreichend geliefert, kauft er in der Regel nicht. Sind hingegen die Angaben im Datenblatt fehlerhaft, dann ist der Lieferant regresspflichtig, das gilt auch dann, wenn verschiedene Qualitätsstufen definiert sind, die dann letztlich nicht eingehalten wurden.

Welche Rollen nehmen Sie selbst in unterschiedlichen Funktionen als Moderator und Teilnehmer bei Normungsinstitutionen, -ausschüssen etc. wahr?  

Der gesamte Bereich der Normung ist sehr breit in verschiedene Spezialbereiche untergliedert. Wir in dem eher kleinen Arbeitsausschuss, den ich mitvertrete, haben es allein mit 200 Normen zu tun. Daneben gibt es eine Reihe von anderen Arbeitsgruppen, z. B. chemische Analytik, bei denen wiederum andere Normen eine Rolle spielen.

Die Struktur ist hier stets die gleiche. Im Bereich des DIN haben wir es mit rein deutschen Normen zu tun, die nächsthöhere Ebene sind die für die europäische Union gültigen EN-Normen, die dann von allen EU-Mitgliedsländern in nationale Normen ungesetzt werden müssen. Die höchste Stufe sind auch bei uns die ISO-Normen, aus denen heraus dann wieder die europäischen Normen anglichen werden müssen. Ziel ist es daher, dass man als Anbieter möglichst die ISO-Normen abdeckt, das sichert einem den globalen Vertrieb der eigenen Produkte. Wichtig auch: Normen werden im Fünf-Jahres-Turnus überprüft. Da wird dann entschieden, ob sie noch dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, oder ob hier nachgearbeitet werden muss.

Inwiefern können Unternehmen von Normierungen und Standardisierung profitieren? Welche Vorteile entstehen dadurch für sie – möglicherweise auch im Wettbewerb mit anderen?

Wie gesagt: Wer über entsprechende ISO-Normen verfügt, wird im internationalen Wettbewerb auf jedem Markt akzeptiert. Wir bei 3M haben darüber hinaus noch den Vorteil, dass wir uns – eben auch über meine Person – aktiv in die Normung einbringen können, z. B. indem wir eigene Messverfahren in die Normung einbringen können.

Das ist aber natürlich für uns auch mit einem gewissen Arbeitsaufwand verbunden. Normungen gehen immer von den nationalen Organisationen aus, wo man mit den entsprechenden Experten an einem Tisch zusammensitzt, liest, analysiert und überprüft, ob Verfahren sich verändert haben. Nur als Mitglied einer solchen Arbeitsgruppe ist man berechtigt, an der entsprechenden europäischen Normungsarbeit teilzunehmen, von dort aus geht es dann weiter auf internationale Ebene. Ich selbst bin Chairman einer Arbeitsgruppe in der europäischen Normung, in der Deutschland das Sekretariat führt. In dieser Funktion bin ich auch auf globaler Ebene als europäischer Vertreter für die Erstellung von ISO-Normen zuständig.

Was bedeutet Ihnen die Arbeit mit Normen? Worin besteht, aus inhaltlicher Perspektive, der Spaß an dieser Arbeit?

Für mich gibt es vor allem drei Aspekte, die meine Arbeit für mich so besonders machen. Da ist zunächst der Austausch mit anderen Experten, der eigentlich permanent und auf mehreren Ebenen stattfindet. Punkt zwei: Man bleibt immer „State of the Art“, also mit aktuellen Infos zu neuen Entwicklungen versorgt, versäumt hier also wirklich gar nichts. Hinzu kommt die Vernetzung in den Fachkreisen, auch hier in Verbindung mit dem Austausch mit den Kollegen. Das zusammen führt einfach dazu, dass ich das, was ich tue, eben auch sehr gerne tue!

Dr. Andreas Rendtel ist diplomierter und promovierter Werkstoffingenieur.

Nach 17 Jahren Forschung auf dem Gebiet der Werkstoff-Eigenschaften, insbesondere bei hohen Temperaturen, sowie der Gefüge-Eigenschaftsbeziehungen von Nicht-Oxid-Keramiken leitet Andreas Rendtel seit 2002 alle Aktivitäten im analytischen Labor von 3M Technical Ceramics. Eine exzellente Datenerhebung der Eigenschaftswerte von keramischen Produkten sowie viele neue Charakterisierungsmethoden wurden durch Dr. Rendtel eingeführt.

Seit 2005 ist Dr. Andreas Rendtel aktiv in der nationalen wie auch internationalen Normung auf dem Gebiet der Messmethoden zur Ermittlung von Eigenschaften keramischer Pulver und Werkstoffe. Dabei ist es ihm gelungen, einige bei 3M Technical Ceramics angewendete spezifische Messmethoden in nationale und internationale Normen zu integrieren.

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